Gedanken Edelbert Köb Fünf Jahre danach Vor gefühlt sehr viel mehr Jahren – leben wir doch in schnell- lebigen Zeiten – unerwartet und viel zu früh ist Karl-Heinz Ströhle von uns gegangen. Was blieb neben einem klugen und angenehmen Menschen von diesem Künstler noch in Erinnerung? Ein prägnantes, für die mit seinem Werk Vertrau- ten, durchgehend überzeugendes Gesamtwerk, eine in sich schlüssige Entwicklung von frühen, wenig bekannten figura- tiven Arbeiten zu reiner Abstraktion und radikaler Reduktion der bildnerischen Mittel, vom Klebeband zum Federstahl, vom strengen Streifenbild zum freien geometrischen Lineament, von Zwei- zur Dreidimensionalität, von bildhafter Statik zu mul- tipler räumlicher Dynamik, von traditionellen zu neuen Medien. Über alle diese künstlerischen Ansätze ist von qualifizierten Autorinnen und Autoren bereits viel und kompetent geschrie- ben worden. Vollends ratlos macht aber alle Schreibenden wohl erst das Studium der äußerst substanziellen Interviews und schriftlichen Äußerungen des hochreflexiven und präzise formulierenden Künstlers Karl-Heinz Ströhle (langjähriger Lehrer am Mozarteum und an der Universität für angewand- te Kunst!). Kann nach dem, was dieser Künstler selbst und authentisch über seine Arbeit gesagt hat, noch mehr getan werden, als das bereits Gesagte nochmals zusammenzufas- sen und vor allem zu zitieren? Das trifft auch für das Thema ‚Kunst im öffentlichen Raum‘ zu, um das ich ursprünglich selbst gebeten habe – allerdings in Unkenntnis seiner, auch diesbezüglich ausführlichen, nur noch ganz wenige Fragen offenlassenden Interviews, etwa mit Ingrid Adamer im Katalog der Otten-Ausstellung. Gerade den Aspekt ‚öffentlicher Raum‘ zu thematisieren, drängte es mich aus zwei Gründen. Einmal, weil ich mit diesem Werkteil am besten vertraut bin, hatte ich doch zwei seiner Projekte selbst kuratiert, außerdem zweimal in Jurien mit Erfolg für die von ihm eingebrachten Projekte votiert. Zweitens, und viel wichtiger, weil der Künstler Ströhle in der Auseinandersetzung mit den komplexen Situationen öffent- licher Räume immer wieder entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung und Verfeinerung seines – in der öffentli- chen Wahrnehmung letztlich doch dominanten – Atelierwerks in den klassischen Medien Zeichnung, Malerei und Skulptur empfangen hat. Das fruchtbare Spannungsverhältnis von auto- nomer, analytischer Atelierarbeit und situationsabhängigen Auftragsarbeiten scheint mir nicht nur eine von vielen Cha- rakteristika, sondern eine ganz wesentlichste Qualität seines Gesamtwerks zu sein. So meint er auch selbst in Hinblick auf seine immer ergebnisoffenen Konfrontationen mit gesell- schaftlichen Realitäten: „In der Rückschau lässt sich sagen, dass sich meine Bilder und Objekte im Kontext der Kunst am Bau-Projekte im öffentlichen Raum weiterentwickelt haben.“ Im gleichen Interview¹ führt er weiter aus: „Diese ‚site-specific‘ Arbeiten verlangen Einfühlungsvermögen für die jeweilige Situation, die Wahl der adäquaten Mittel und den richtigen Umgang mit dem vorhandenen Budget. Es sind dadurch 66 oft sehr unterschiedliche Lösungen gefordert.“ Er sucht und findet sie in Richtung Dreidimensionalität, Multimedialität, Interdisziplinarität, Performance, alles signifikante Charakte- ristika der drängenden Postmoderne. Zusätzlich befördert durch seine Lehrtätigkeit stellt er sich sehr bewusst den Fragen seiner Zeit: „Der ständige Kontakt mit den Studieren- den ist eine willkommene Herausforderung; man ist stetig gefordert, sich auf neue Positionen einzulassen. Die Univer- sität für angewandte Kunst ist ein Ort, an dem – im besten Fall – auf hohem Niveau der Status der Kunst immer wieder neu verhandelt wird.“ Und diese, seine Zeit, zwischen Stu- dienabschluss 1982 und Tod, ist eben die Postmoderne. Sie ist in etwa ident mit dem Zeitfenster, in dem ich als Leiter mehrerer Kunstinstitutionen eine Generation österreichischer Künstlerinnen und Künstler begleiten durfte, eine Generation, die Entscheidungen zu treffen hatte (natürlich nicht nur sie alleine, auch die Museen, der Betrieb insgesamt!): Lässt sich in Zeiten der ausklingenden Spät- oder Nachmoderne denn auf den ausgelaugten Territorien der Moderne noch frische Frucht ernten oder müssen völlig neue Wege eingeschla- gen werden? Während damals die Neuen Wilden mit Energie und einigem Erfolg neuen Wein in alte Schläuche (der Male- rei) füllten, suchten andere Künstlerinnen und Künstler wie Heimo Zobernig, Brigitte Kowanz, Peter Kogler, Gerwald Rockenschaub – und eben auch Karl-Heinz Ströhle – nach individuellen, mehr oder weniger radikalen Auswegen aus einem Dilemma. Hohes Bewusstsein für die Herausforderun- gen ihrer Zeit, für das Ende der Moderne, den Verlust aller bis dahin gültigen Begrifflichkeiten, die Suche nach neuen Maßstäben und Rahmenbedingungen zeichneten sie aus. Ging es ihnen doch darum, neue Wege zu gehen, allerdings ohne das Bezugsfeld Moderne als abgesicherte Grundlage der Kommunikation mit dem Publikum vollends aufzugeben. Obwohl es sich im Rückblick bei den Genannten eher um evolutionäre als um revolutionäre Entwicklungen handelte, ging die große Wende doch selten konfliktfrei, ohne thema- tische und mediale Brüche mit dem jeweils Vorherigen und ohne wiederholte Neustarts über die Bühne. Nicht so bei Karl-Heinz Ströhle. Die im Atelier geschaffenen künstlerischen Grundlagen treffen auf unterschiedlichste öffentliche Räume, lösen dort Erfahrungen aus und erfordern Reaktionen, die wiederum zurückwirken. Aber nicht als Störfaktoren, sondern als Bereicherungen, als Anregungen, die im Atelier eingeschlagenen Wege weiter zu verfolgen. Also kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch – und der tiefere Grund eines Werks von geradezu zwingender innerer Logik, geprägt von Maß und Klarheit, Leichtigkeit und Kraft, Ruhe und Bewegung. 7. Juni 2021 1 Zitate Karl-Heinz Ströhle aus Publikation ‚Otten Kunstraum. Karl-Heinz Ströhle. Ornament und Aformation‘, Werkstattge- spräch mit Ingrid Adamer, 2011.